| Bonjour,
herzliche Grüße aus Paris.
Nachdem ich in der ersten Woche eine Menge Organisatorisches zu
erledigen hatte, möchte ich nun heute meinen ersten Blogbeitrag
verfassen.
Hier angekommen bin ich am 1. Oktober mit einem größeren Kombi
von Sixt. Erfreulicherweise hatte Sixt in Dresden ein
französisches Auto aufgetrieben, so daß mir die Einwegmiete
erspart blieb und ich relativ kostengünstig meinen Krempel,
u.a. mein Fahrrad, nach Paris fahren konnte. Die Strecke habe ich
in zwei Etappen zurückgelegt, am 30.09. bin ich nach Aachen
gefahren und habe bei einem Freund übernachtet, um dann in aller
Frühe am 1. Oktober nach Paris weiterzufahren. Um 9 Uhr, als ich
mich der Stadt näherte: Stau, Stau und nochmals Stau. Der gesamte
boulevard périphérique war vollkommen verstopft, Unfall,
Baustelle usw. Nach quälenden 1.5h war ich dann in der Nähe
meiner Unterkunft angekommen, konnte aber noch nicht in das
Zimmer, da dieses erst um drei bezugsfertig war. Also habe ich
das Auto am gare de l'est für sündhaft teure 14.50 EUR für etwa
3h abgestellt und bin erstmal zum Institut gefahren.
Das ESPCI von außen
Die Franzosen mögen alle möglichen Abkürzungen, es können dero
nicht genug sein: Unser Institut heißt LPEM (laboratoire photons
et matière), unser spezielles Labor ist das LPQ (laboratoire
physique quantique). Diese sind an die ESPCI (ecole supérieure de
la physique et de la chimie industrielle de la ville Paris)
angegliedert. Mein Arbeitsvertrag jedoch besteht mit dem
CNRS (centre national de la recherche scientifique), usw. usf.
Das mag zwar alles sehr eindrucksvoll klingen - besonders
aufgrund der Tatsache, dass die ESPCI ein Teil des sogenannten
ParisTech ist, einer grande école (französische Elitehochschulen)
für ingenieurs- und naturwissenchaftliche Studiengänge -, das
Labor ist aber ziemlich heruntergekommen. Die Farbe blättert von
den Wänden, es gibt kaum Werkzeug, Messgeräte, Arbeitsmittel. Nur
ein Beispiel: Die Hochschule ist so unterfinanziert, dass sie
sich keine Schlüssel leisten kann. Also stand die Sekretärin
ca. 30 Minuten an meiner Tür und hat mit Schleifpapier einen
Schlüssel für mich "geschliffen". Un dieser passt auch wirklich
nur sehr leidlich ... Aber, es ist ein historischer Platz: In
diesen Räumen hat Piere und Marie Curie das Radon entdeckt (und
damit mehr oder weniger die Radioaktivität). Die beiden liegen
übrigens nur wenige Straßen weiter im Phantéon, der französischen
Ruhmeshalle, begraben.
Mein Büro
Nachdem ich anschließend meinen Arbeitsvertrag erhalten hatte,
bin ich wieder zum gare de l'est, hab das Auto geholt und bin zu
meiner Unterkunft gefahren. Dort habe ich mich zunächst
angemeldet, wieder ein Dutzend Formulare erhalten, musste zwei
Fotos abgeben (ja Fritzi, in Frankreich braucht man wirklich noch
für alles Fotos), Unterschriften leisten usw. usf.; dann habe ich
meine Sachen schnell hochgetragen (ich habe die ganze Zeit im
Halteverbot gestanden) und wollte nur noch eins: Das Auto so
schnell wie möglich loswerden. In Paris Autofahren ist die
absolute Hölle. Die Straßen sind eng, dutzende Motorräder,
Fahrräder und Fußgänger quetschen sich bei rot, grün, gelb, egal
welcher Ampelfarbe zwischen den Autos durch, es wird rechts,
links (oben, unten?) überholt, gehupt, geblinkt, gebremst. Es
erscheint mir immer noch als Wunder, dass ich das (für mich
ungewöhnlich große) Auto heil wieder zur Abgabestelle geschafft
habe ... Ich habe selten so geschwitzt. Als ich aus dem Auto
ausgestiegen bin, hatte ich ein klatschnasses T-shirt (kein
Scherz), das war wohl der Angstschweiß ;)
Meine Unterkunft von außen
Das Bassin de la Vilette
Mein Zimmer
Das Zwischengeschoß

Am Samstag, den 2.10. war ich gleich auf eine Party
eingeladen. Korrekter wäre es zu sagen, dass mein Chef zu einer
Party eingeladen war und gefragt hat, ob ich mitkommen darf. Die
Nacht vom Samstag zum Sonntag war die sogenannte "nuit blanche",
die weiße Nacht. In dieser Nacht haben Museen, Restaurants, Bars,
alle möglichen kulturellen Einrichtungen, Theater usw. von abends
8 Uhr bis morgens 8 Uhr geöffnet - die Nacht wird also zum Tag
gemacht, daher der Name "weiße Nacht". Und an diesem Tag hat eine
Freundin meines Chefs Geburtstag (nach-)gefeiert. Deren
Appartement war auf dem boulevard de Clichy, zwei Häuser neben
dem moulin rouge. Also eine unglaubliche Lage! Die Party war
entsprechend mondän und irgendwie ein bisschen surreal. 50% der
Gäste waren Architekten (wie die Gastgeberin) und arbeitete
überall in der Welt (China, Rio, Tokio, sag ich nur). Außerdem
gab es eine Korrespondentin für eine Architekturmagazin aus
Genua, einen Kinobetreiber uvm. Komischerweise waren fast alle
alleinstehend, ehrlich gesagt, habe ich bis auf das gastgebende
Pärchen und meinen Chef kein einziges Paar gesehen. Das fand ich
merkwürdig, weil bis auf wenige Ausnahmen alle Teilnehmer um die
50 Jahre alt waren. Aber auch in Paris kochen die Leute nur mit
Wasser und ich musste schmunzeln, dass es bei der Party zuging
wie bei jeder Party in Dresden auch: Es gibt schüchterne, die
alleine rumstehen, Leute, die sich am Buffet
rumtreiben. Grüppchenbildung auf dem (Raucher-)Balkon, einige
mutige, die tanzen ...
Das Wochenende drauf habe ich etwas meine Gegend erkundigt. Mein
Unterkunft befindet sich im 19. Arrondissement, also im Nordosten
der Innenstadt. Es ist wirklich schön hier. Das Haus liegt direkt
an einem Kanal (bassin de la vilette), auf dem viele
Ausflugsdampfer tuckern. Dieses "Bassin" ist über den canal
st. martin und viele historische Schiffshebewerke mit der Seine
verbunden. Die Leute joggen, sitzen da, lesen, entspannen abends
und wochenends mit einer Flasche Wein rund um das
Wasser. Außerdem ist hier in der Nähe der "buttes chaumont", ein
Park der von Haussmann angelegt wurde und ein wenig an den
Central Park in New York erinnert, mit Grotten, kleinen
Schlösschen, künstlichen Bergen usw. Direkt neben meiner
Unterkunft ist ein jüdisches Kulturzentrum (ich glaube, es ist
keine Synagoge), scheinbar ein orthodoxes, denn man sieht sehr
viele schwarz gekleidete Herren mit Hut, Schläfenlöckchen und
Gebetsschal, die vor allem samstags da hineinströmen. Sehr
spannend, so ein lebendiges jüdisches Leben habe ich bisher nur
in Israel gesehen.
Butte Chaumont

Meinen Arbeitsweg bestreite ich übrigens mit dem Fahrrad
(ca. 7km). Dieser führt mich an dem schon angesprochenen canal
st. martin vorbei. Dieser ist durchgehend mit einem Radweg
versehen und sonntags sogar für autofahrer ganz gesperrt. Der
einzige Knackpunkt ist der gigantische Kreisverkehr an der
Bastille, wo immer totales Chaos herrscht. In Paris gibt es seit
einigen Jahren eine regelrechte Fahrradoffensive. Es gibt die
sogenannten vélib- (ein Kunstwort aus vélo, Fahrrad und liberté,
Freiheit) Stationen an jeder Ecke. Dort kann man sich für kleines
Geld ein Fahrrad nehmen und an jeder anderen beliebigen Station
wieder abgeben. Die erste halbe Stunde ist sogar
kostenfrei. Dieser Service wird enorm gut angenommen, man sieht
die vélib überall. Außerdem gibt es
(mittlerweile?) sehr viele Fahrradwege und meistens sind die Busspuren
für Fahrräder freigegeben. Auch viele Einbahnstraßen darf der Radler
gegen die Fahrtrichtung nutzen. Zudem gibt es jeden Sonntag, wie oben schon erwähnt, die Aktion
"Paris atmet", an diesem Tag sind viele Straßen ganz für den Autoverkehr gesperrt.
In meiner ersten Arbeitswoche hatte ich noch einige Formalien zu
erledigen, under anderem meinen Badge (hier "Battsch" ausgesprochen) zu
beantragen, ein Bankkonto zu eröffnen, meine Mensakarte zu besorgen,
sodass ich noch gar nicht viel Zeit hatte, Paris zu entdecken. Lediglich
gestern (Samstag, den 9.10.) bin ich ein wenig mit dem Fahrrad durch die
Stadt gefahren. Es war hier sonnig und 25° warm; habe ein wenig in den
Tuilerien-Gärten Reiseführer gelesen und bin anschließend noch einkaufen
gegangen. Und jetzt gerade komme ich von einem kleinen Ausflug zur notre dame zurück, dort
finden nämlich jeden Sonntag kostenlose Orgelkonzerte statt. Heute spielte eine Russin Werke von
Gedicke, Bach und Mouchel.
Au revoir,
Guido
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